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Eigenständige Jugendpolitik

Gefährlich? Gefährdet? Oder angepasst? Wie sind sie denn nun? – Ein Interview über die Wahrnehmung von Jugendlichen

beser und hafeneger

Nicht selten vermitteln – insbesondere Politik und Medien –  wenig differenzierte Bilder von Jugend. Oder – wie es wohl noch viel häufiger der Fall ist – es wird gar nicht über Jugendliche gesprochen. Eigenständige Jugendpolitik wendet sich gegen eine wirklichkeitsferne Darstellung und gegen das Übergehen von Jugendlichen und ihren Themen. Sie möchte dazu anregen, die lebendige Vielfalt jugendlicher Lebenswelten in vollem Umfang wahrzunehmen; sie will darauf aufmerksam machen, wie bedeutend Jugendbilder nicht nur für Jugendliche selbst, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt sind.

Die Koordinierungsstelle „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ hat zwei Expertisen beauftragt, um mehr über Jugendbilder in den Medien und in der Politik zu erfahren, und sie hat Ende letzten Jahres einen Jugendworkshop zum Thema durchgeführt. Darüber hinaus hat das Beteiligungsprojekt Ichmache>Politik|Demografie in diesem Jahr eine Onlinebeteiligungsrunde organisiert und Meinungen über das Image von Jugendlichen gesammelt. Neben dem folgenden Interview können Sie in einem Überblicksartikel weiteres zu „Jugendbildern“ und zu den genannten Ergebnissen nachlesen.

Um die Bedeutung und Funktion von Jugendbildern sowohl aus der jugendlichen als auch aus der erwachsenen Perspektive zu beleuchten, haben wir einen Experten aus der Wissenschaft und eine jugendliche Expertin zum Thema befragt.

Prof. Dr. Benno Hafeneger ist an der Philipps-Universität Marburg im Bereich der außerschulischen Jugendbildung, Jugendarbeit und Medien- und Kulturarbeit tätig. Er trägt im wissenschaftlichen Kontext bereits seit den Neunzigerjahren maßgeblich zur Diskussion über die Darstellung und Wahrnehmung von Jugendlichen bei.

Amanda Beser engagiert sich als Jugendredakteurin in Berlin und hat an der Jugendkonferenz der Koordinierungsstelle zur Weiterentwicklung der Jugendstrategie im September 2016 teilgenommen. 

Interview

  • Frau Beser, Sie schreiben für jup!-Berlin und „innovativ international“ – Sie sind also in der Medienlandschaft aktiv und selber vertraut damit, wie Bilder über Medien produziert werden können. Wie nehmen Sie die mediale Darstellung von Jugendlichen wahr?

Amanda Beser: Ich nehme Jugendbilder und –darstellungen in der Medienlandschaft vor allem als mainstreamkonform und heteronormativ war. Betrachte ich eingängige Jugendlifestyle-Magazine, so fällt mir unangenehm auf, dass meistens eine klare geschlechtsspezifische Aufteilung zwischen den gewählten jugendlichen Charakteren stattfindet und männliche sowie weibliche Jugendbilder  bestimmten Klischees entsprechen. So wird eine vermeintliche Normalität geschaffen, der sich der jugendliche Leser oder die jugendliche Leserin entweder anschließt (unterordnet) oder auch nicht (rebelliert). Schnell kann es dadurch zu einem unüberwindbaren Irrkreis kommen, indem die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die Jugendbilder für sich angenommen haben, der zuvor erwähnten Heteronormativität zur Legitimation verhelfen. Genau diesen fragwürdigen Automatismus sollten Medien nicht fördern. Meiner Meinung nach besteht ein Zusammenhang zwischen der eigenen Annahme von Identität und der Fremdzuweisung durch mediale Jugendbilder. Wenn ich zum Beispiel weder Interesse an Nagellack noch an Lippenstiften habe, diese jedoch obligatorisch bei weiblichen Jugendbildern eingesetzt werden, dann beginne ich automatisch zu glauben, dass ich eben nicht begehrenswert sein könnte, sobald ich entsprechend nicht meine Nägel lackiere und Lippen bemale. Ich bemängle außerdem das fehlende Gendern in Beiträgen und die einseitigen Lebensentwürfe, die den jungen Menschen als Orientierungshilfe dienen sollen. Medien haben im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen hohen Stellenwert; mit diesem Stellenwert geht auch eine besondere Verantwortung einher.

  • Würden Sie sagen, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit ihren Interessen und Bedürfnissen auf politischer Ebene realistisch dargestellt und wahrgenommen werden?

Beser: Ein klares Nein. Wie sollen Jugendliche und junge Erwachsene auf der politischen Ebene wahrgenommen werden, wenn sie dort kaum feste Räume beanspruchen, Dialoge nicht auf Augenhöhe stattfinden und selbst der immense Ideenreichtum junger Menschen nicht wertgeschätzt wird? Ein peinliches Beispiel ist für mich die Anti-Cannabis-Kampagne der Stadt Berlin.

  • Wie ist es in der Öffentlichkeit? Welche Art von Wertschätzung erfahren Sie und andere Menschen in Ihrem Alter?

Beser: Das nähere Umfeld geht wertschätzend mit mir um. Sprechen wir jedoch über gerechte Entlohnung, zum Beispiel in der Freiwilligenarbeit (FÖJ, FSJ, ...), stelle ich fest, dass die Wertschätzung und Anerkennung hier nicht ausreicht. Für mich läuft die Wertschätzung für mein Engagement vor allem über freizeitorientierte Angebote, wie freie Tickets für Konzerte oder über Leistungsscheine, die mir meine erfolgreiche Teilnahme bestätigen und für Bewerbungen einen Nutzen bringen. 

Prof. Dr. Benno Hafeneger:  Ja, das Reden  „über Jugend“ ist – seit es Jugend gibt – ein gesellschaftliches Dauerphänomen. Immer wieder versucht sich die Erwachsenengesellschaft ihrer jeweiligen Jugend zu vergegenwärtigen. Sie will wissen, was in und mit der Jugend los ist und wie es um deren Befindlichkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen bestellt ist. Dabei sind das öffentliche, medial aufgenommene und inszenierte Reden einerseits und die wissenschaftliche Beschäftigung mit Jugend andererseits zu unterscheiden; aber beide – Öffentlichkeit und Wissenschaft – wollen immer wieder „herausfinden“, wie es der Jugend geht, wie sie denkt, fühlt und handelt. Dies ist vor allem von einer Unsicherheit stimuliert, ob die Generationenfolge denn auch wirklich, mehr oder weniger reibungslos, gelingt. Scheinbar sind sich die Gesellschaften nicht sicher, ob es ihnen mit ihren Institutionen, Instrumenten und Angeboten gelingt, die junge Generation – bei aller Offenheit – nach ihren Vorstellungen zu integrieren. Es gibt Ungewissheiten und eine diffuse Sorge, ob die junge Generation die Generationenfolge so antritt, wie sie erwünscht ist. Ein Instrument der Beeinflussung sind autoritäre und belehrende (manchmal auch nachdenkliche) Reden an die Jugend; hier drücken erziehende Erwachsene, Politik und Pädagogik belehrend und instruierend aus, was sie von der jungen Generation erwarten, wie sie sich diese wünschen und was sie an ihr zu kritisieren haben. Die Reden sind ein Instrument der Vergegenwärtigung der Jugend und zugleich Handlungsaufforderung, die Entwicklung von Jugendlichen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Letztlich spiegelt sich im Reden „über Jugend“ das Reden der Erwachsenengesellschaft und ihrer Akteure über sich selbst wieder – weil sie es ja sind, die reden, diagnostizieren und fordern.

  • Wie beeinflussen Jugendbilder Generationenbeziehungen? Und wie beeinflussen Generationenbeziehungen Jugendbilder?

HafenegerHier haben wir es mit Wechselwirkungen zu tun. Jugendbilder bilden immer den Hintergrund von Generationenbeziehungen und sind Ausdruck von generationellen Verhältnissen. So haben wir es bei einem mehr negativen Jugendbild eher mit strengen, autoritären und strafenden Generationenbeziehungen zu tun; bei einem positiven Jugendbild identifizieren wir eher dialogische, kommunikative und zugewandte Generationenbeziehungen. Daneben gibt es weitere Varianten von erzieherischen Jugendbildern, dann Differenzierungen von Jungen- und Mädchenbildern oder die Vielzahl von problematischen Kurzbegriffen wie „Generation X“ oder „Generation Y“. Jugendbilder werden von der Erwachsenengesellschaft und vor allem von Medien kreiert, sie basieren auf kulturellen Tradierungen und eigenen Erfahrungen. Aber auch die jeweiligen Jugendgenerationen kreieren Jugendbilder, beeinflussen die Generationenbeziehungen und tragen zur Differenzierung und einem dynamischen Wandel bei – von Jugendbildern und Generationenbeziehungen. Das sehen wir z. B. an der Tendenz der „Verjugendlichung“ der Gesellschaft oder auch an zunehmend dialogischen Generationenbeziehungen.

  • Welche Folgen haben Jugendbilder für die Gesellschaft?

Hafeneger: Jugendbilder sind für die Gesellschaft eine Möglichkeit bzw. ein „Instrument“ ihre Jugend zu „sortieren“. Sie schafft sich damit vermeintliche Gewissheit und entlastet sich mit ihnen bzw. rechtfertigt ihr Vorgehen und ihre Forderungen. So besteht die Gefahr, dass Einzelfälle – z. B. mit Blick auf Gewalt, Sucht, Extremismus, Kriminalität – medial dramatisiert und verallgemeinert werden; so entstehen problematische Jugendbilder. Wenn Jugendbilder nicht empirisch gebunden und differenziert sind, haben sie keinen aufklärenden Charakter, sondern sie stimulieren ein problematisches Reden über Jugend; dann können sie zur Stigmatisierung einer ganzen jungen Generation beitragen.

  • Frau Beser, welche Auswirkungen haben die Darstellung und Wahrnehmung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf jugendliche Lebenswelten?

Beser: Die Darstellungen von Jugendbildern sind für junge Menschen Orientierungspfeiler. Sie signalisieren: „Das ist normal und wenn du dich so gibst, dann bist auch du normal“. Problematisch wird es allerdings, wenn sich ganze Gruppen von Jugendlichen, oder auch einzelne junge Menschen nicht in diesen Bildern wiederfinden, sich dementsprechend auch nicht mehr wahrgenommen sehen. Schnell neigen sie dazu, das eigene „Ich“ in Frage zu stellen, statt die besagten Jugendbilder zu hinterfragen.

  • Wer ist hier in der Verantwortung und was können diese Akteure tun?

Beser: Alle Akteure, die eine Rolle im Leben eines jungen Menschen spielen, d. h. elterliches Umfeld (Erziehung), Schule (Bildung) und Freundeskreis (Sozialisierung) tragen dazu bei, ein gesundes Selbstbild für junge Menschen aufzubauen. Medienkompetenzen sollten vermehrt beigebracht und kritisches Reflektieren geübt werden. Die verantwortungsvollste Rolle jedoch trägt die Medienlandschaft. Diese sollte ihre Jugendbilder öffnen und die Pluralität sowie Diversität der Jugend mehr zur Geltung bringen.

Hafeneger: In Verantwortung sind die Produzenten und Stichwortgeber – dazu gehören Akteure aus der Politik, den Medien, der Wirtschaft, aus der Wissenschaft. Sie haben zu überlegen, auf welcher empirischen Basis sie solche verallgemeinerten Bilder anbieten, wie diese wirken und auch zur Stigmatisierung der jungen Generation beitragen können. Das gilt in den letzten Jahren vor allem für die modisch-verkürzten Begriffe wie „Generation Golf“, die „Generationen X, Y, What's App“, aber auch für die sogenannte „pragmatische Generation“. Die Fragen sind immer: was klären solche Begriffe und Bilder auf, was beschreiben sie und wo tragen sie zur „Vernebelung“ von Wirklichkeiten einer differenzierten Jugend (von Jugenden) bei.

  • Wie können Jugendliche Jugendbilder selbst gestalten? Tun sie das vielleicht bereits? Und wenn ja, wie zeigt sich das dem Rest der Gesellschaft?

Beser: Jugendliche gestalten ihre eigenen Jugendbilder selbst, wenn sie beginnen, sich mit Themen auseinander zu setzen oder wenn sie ihren Interessen nachgehen und danach das Ganze in sozialen Netzwerken teilen. Für mich stellen soziale Netzwerke, trotz vielfach geschönten Profilbildern, authentische Querschnitte dar. Leider sehe ich jedoch keinen zufriedenstellenden Austausch zwischen diesen selbstproduzierten Jugendbildern und den vorgesetzten Bildern der Medien, oder zwischen den Jugendbildern und den „Erwachsenenbildern“. Ich finde es außerdem verwunderlich, dass die Jugend, die eher Trends setzt, welche später von Erwachsenen übernommen werden (z. B. Snapchat für die Polizei), gesellschaftlich betrachtet, trotzdem einen geringen Stellenwert hat. Es mangelt oft an Wertschätzung und Anerkennung.

Hafeneger: Jugendliche sind immer auch – und immer wieder neu an der Kreation von Jugendbildern beteiligt; das tun sie weniger begrifflich, als durch ihre Einstellungen und Verhaltensweisen, d. h. wie sie sich sprachlich und nicht-sprachlich äußern und mittteilen. Dadurch teilen sie der Gesellschaft mit, wie sie fühlen und denken, was sie wollen und wofür sie einstehen. Hier finden wir alle möglichen Varianten: Jugendliche sind brav, angepasst, engagiert, kritisch, dissident, rebellisch; sie sind konservativ, weltoffen oder auch extrem; sie basteln an ihrer Biografie, suchen sich ihre Räume und Gesellungsformen. Wir haben eine große Pluralität von jugendlichen Lebenswelten und Wegen der Aneignung bzw. Auseinandersetzung mit der Realität und der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Hier kommt es darauf an, dass Jugendlichen (auch pädagogisch begleitete) Räume, Zeiten und Gelegenheiten zur Verfügung stehen, um „Bilder über sich“  das bedeutet dann Lebensweisen, Vorstellungen und Identitäsentwürfe  zu entwickeln; dabei sollte es pädagogisch begleitend um Bilder gehen, die mit Merkmalen wie prosozial, emphatisch und demokratisch verbunden sind. Generell gilt, dass Bilder – wenn sie nachhaltig sein sollen  nicht abstrakt entstehen oder von außen induziert werden, sondern an Lebenswirklichkeiten und -praxis sowie deren Be- und Verarbeitung gebunden sind.

  • Herr Prof. Dr. Hafeneger, was tun Sie als Jugendforscher, und Frau Beser, was tun Sie als Jugendredakteurin, um die Darstellung möglichst realistischer Jugendbilder zu befördern?

Hafeneger: Es sind immer Versuche, die Lebenswirklichkeiten möglichst dicht zu erfassen, die Jugendlichen sich selbst beschreiben zu lassen und mit angebotenen (generalisierten und abstrakten) Begriffen bzw. Bildern vorsichtig zu sein. Wenn die Jugendlichen sich in empirischen Befunden und deren Deutungen wiederfinden, dann kann Jugendforschung immer auch einen selbstaufklärenden Charakter haben – über die Gesellschaft und ihre Generationen, vor allem aber auch für die junge Generation.

Beser: In den Jugendredaktionen innovativ-international.de & jup!Berlin bemühen wir uns um eine gehaltvolle Informationsverarbeitung und -aufarbeitung, die die vorherige Selbstreflexion einschließt. Denn, so unsere Auffassung, können vorurteilsbehaftete Jugendbilder bereits geschwächt werden, wenn wir uns bewusst werden, dass es Vorurteile gibt. Am einfachsten mache ich es mir, in dem ich die Inhalte aufnehme, die ich persönlich als besonders relevant wahrnehme und diesen subjektiven Blick in meinen Beiträgen entweder explizit erwähne oder auf ihn Bezug nehme. Konkret heißt es: Wenn ich über die „Musiksommerhits“ schreibe, weise ich darauf hin, dass ich „Musikanalphabetin“ bin, mir persönlich der Sound gefällt, er aber nicht allen gefallen muss. Außerdem bilde ich mich in zahlreichen Jugendworkshops weiter, um nicht nur neue Inhalte zu lernen, sondern auch meine Selbstreflexion zu fördern und natürlich auf dem Laufenden zu bleiben. 

Vielen Dank für das Interview!

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