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"Learning by Doing!" Ein Interview mit Sebastian Bock (AdB)

(c) Sebastian Bock

Sebastian Bock ist stellvertretender Geschäftsführer des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e.V. (AdB)Der AdB ist ein Zusammenschluss von Einrichtungen politischer Jugend- und Erwachsenenbildung mit unterschiedlichen Profilen, z.B. Jugendbildungsstätten, Heimvolkshochschulen, internationale Begegnungsstätten und Akademien der parteinahen Stiftungen. Sebastian Bock ist sich in Sachen politischer Jugendbildung sicher: "„Learning by doing!“ Nur durch das eigene Tun können junge Menschen Selbstwirksamkeit erfahren und wirklich auch wirksam für das Gemeinwohl werden."

Lieber Sebastian Bock, der 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung stellt fest, dass außerschulische politische Bildung einen festen Stellenwert in der Bildung junger Menschen haben sollte. Welche Möglichkeiten gibt es, dies tatsächlich flächendeckend sicher zu stellen?

Ich stimme an dieser Stelle dem Kinder- und Jugendbericht (kurz: KJB) voll zu: Wenn wir unsere Demokratie und unser demokratisches Zusammenleben schützen und stärken wollen, muss politische Bildung einen festen Stellenwert sowohl in schulischen, besonders aber auch in außerschulischen Bildungsprozessen junger Menschen einnehmen. Der KJB nimmt darauf Bezug, dass junge Menschen selbstverständlich auch politische Wesen sind, sich engagieren und dabei versuchen, sich immer wieder sehr vielfältig in politische Prozesse einzumischen, wenngleich meist nicht in die Landes- oder Bundespolitik. Sie kümmern sich vielmehr in ihrem Lebensumfeld um die Fragen, die sie ganz direkt betreffen. Politische Bildung kann junge Menschen unterstützen ihr Handeln zu reflektieren und sich ihrer eigenen Wirksamkeit bewusst zu werden. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit von schulischer und außerschulischer Bildung, wofür aber mehr Augenmerk auf die Potenziale außerschulischer Bildungsangebote gelegt werden muss. Ebenso muss diese personell wie auch finanziell viel besser ausgestattet werden. Flächendeckend und gerade in ländlichen Räumen kann dies zu sehr gewinnbringenden Kooperationen führen und viele junge Menschen erreichen.

Die Erwartungen an die politische Bildung und ihre Wirkung steigen angesichts der zu beobachtenden demokratiefeindlichen Tendenzen – wie begegnen die im AdB organisierten Bildungseinrichtungen diesen Entwicklungen?

Ja, das stimmt, die Erwartungen steigen enorm, leider aber dahingehend, dass politische Bildung in einer Art Feuerwehrfunktion ‚mal schnell‘ die Welt retten soll. Das kann Bildung nie leisten! Deswegen verändern wir zunächst in unserer Herangehensweise an die Arbeit mit jungen Menschen nichts Grundlegendes, weil wir überzeugt davon sind, dass es wichtig und richtig ist, Demokratiebildung und politische Bildung sehr breit zu sehen. Wie gehen junge Menschen miteinander um, wie und wo können sie gestärkt werden, wie und wo können sie sich einzumischen und an politischen Prozessen, im Kleinen wie auch im Großen teilhaben? Es geht darum, Demokratie als Lebensform zu verstehen und jungen Menschen ihre eigenen Wirkungsmöglichkeiten aufzeigen. Das ist unsere Grundaufgabe, die wir mit ganz vielfältigen, innovativen Methoden und neuen Zugängen zu jungen Menschen verstärken. Aber natürlich reagieren wir auf aktuelle Herausforderungen und arbeiten daran, diesen zu begegnen. In diesem Jahr widmen wir uns zum Beispiel in unseren Einrichtungen gezielt dem Thema „Demokratie in Gefahr? Rechtspopulismus und die Krise der politischen Repräsentation“ und bereiten gerade das daran anknüpfende Jahresthema 2018 vor, in dem es um das Thema der politischen Meinungsbildung gehen wird. Beide Themen greifen sehr aktuelle Gefahren für unser demokratisches Zusammenleben auf.

Bewegungen, die durch gezielte Kommunikation und spektakuläre Aktionen versuchen, den demokratischen Diskurs zu stören und zu manipulieren, müssen durch Bildungsangebote aufgedeckt und entlarvt werden. Hierzu muss unser Ziel sein, junge Menschen zu befähigen und dabei zu unterstützen, wie sie mit der Fülle an Informationen online und offline umgehen und für sich persönlich deuten können. Sich dann eine eigene Meinung bilden und für diese einzustehen ist dann ein weiterer Schritt bei dem wir begleiten.

Was können die formalen Bildungsinstitutionen von außerschulischer Jugendbildung lernen?

Formale Bildung ist leider immer noch zu sehr auf die Vermittlung und die benotete Abfrage von Lerninhalten versteift. Somit ist für junge Menschen ein großer Druck vorhanden sich mit den Themen des Lehrplans auseinander zu setzen. Die eigentlichen Themen, die junge Menschen bewegen, haben leider keinen Platz. Im Gegensatz dazu beginnt außerschulische Bildung an den Bedürfnissen der Zielgruppe, nimmt diese ernst und zeigt daran politisches Engagement und Teilhabe auf. Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist aber, dass die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruht. Nur so können Freiräume für junge Menschen geschaffen werden, wo sie ausreichend Zeit haben, sich miteinander auseinanderzusetzen und es schaffen können, politische Themen aus ihrem privaten Lebensbereich in gesellschaftliche Zusammenhänge zu übertragen. Formale Bildungseinrichtungen müssen hierfür offener werden. Außerschulische Bildung muss von ihnen endlich als Player im Bildungsprozess junger Menschen anerkannt und gleichwertig zu ihrer Arbeit gesehen werden. Als Pfadfinder halte ich es schon immer mit dem Zitat des Gründers der PfadfinderInnenbewegung, Baden Powell: „Learning by doing!“ Nur durch das eigene Tun können junge Menschen Selbstwirksamkeit erfahren und wirklich auch wirksam für das Gemeinwohl werden.

Gerade startete die neue Programmphase „Politische Jugendbildung im AdB". Als Zentralstelle übernimmt der AdB die bundeszentrale Vernetzung der beteiligten Einrichtungen. Welche innovativen Bildungsformate gibt es in dieser Phase?

Wir widmen uns in den kommenden Jahren innerhalb unserer vier Projektgruppen den Schwerpunktthemen „Digitale Medien und Demokratie“, „Flucht und Migration“, „Erinnerungskultur und Teilhabe“ sowie „Arbeitswelt und Lebensperspektive“. Anhand dieser Themen versuchen wir den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen und Diskursen zu begegnen. In 25 Einrichtungen, die bundesweit verteilt sind, werden dazu Formate der politischen Bildungsarbeit weiterentwickelt bzw. ganz neu entwickelt. Ein Beispiel für ein Projekt im Bereich Antirassismusarbeit ist das Modellprojekt „Mobil gegen Rechts“ der Waldritter e.V.; sie haben die Methode des „Escape Room“, wie er bereits in vielen Städten angeboten wird, als Bildungsmethode für Jugendliche und junge Erwachsene weiterentwickelt. In einer kleinen Gruppe wird hierbei ein Raum durchsucht und in kleinen Schritten die Geschichte eines Aussteigers aus der rechtsextremen Szene erfahren. Die Gruppe kombiniert Informationen miteinander und findet so schließlich den Schlüssel zum Verlassen des Raumes, der aber gleichzeitig nur ein Symbol für den Ausstieg des Protagonisten darstellt. Ziel hierbei ist es, sich Informationen über Aussteigerprogramme und Schicksale von Aussteigenden aus der rechtsextremen Szene anzueignen. Die hier gemachten Erfahrung haben gezeigt, dass es ein hohes Interesse für diese Art von spannenden Erlebnisspielen gibt, auch von Teilnehmenden, die sich vorher noch nicht intensiv oder auch noch gar nicht mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt haben. Ein anderes Projektbeispiel bezieht sich auf Fragen rund um das sogenannte „Webtracking“, im Rahmen dessen Kenntnisse über die Funktionsweise des Internets und digitaler Dienste vermittelt werden, um verstehen zu können, wohin Betriebssysteme und Apps (bisweilen ungefragt) unsere privaten Daten weiterleiten. Dies sehen wir als Beitrag dazu, jungen Menschen einen Zugang zum hochkomplexen Gegenstand Demokratie und digitalisierte Gesellschaft zu ermöglichen. Natürlich stehen wir noch am Beginn der Projektphase, aber ich bin sehr zuversichtlich bezüglich der Entwicklung dieser und anderer Projekte.

Welchen Herausforderungen begegnet die außerschulische Bildungsarbeit im Hinblick auf geflüchtete Menschen in Deutschland?

Die außerschulische politische Bildung hat sich sehr engagiert des Themas angenommen. Das Angebot reicht von der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Bildungsstätten über eigene Angebote für die Zielgruppe bis hin zur Ausbildung Geflüchteter als Teamerinnen und Teamer für die politische Bildung. Die größten Hürden bilden dabei die unterschiedlichen Sprachkenntnisse der Zielgruppe sowie Rahmenbedingungen in Form von Richtlinien- oder Programmvorgaben, die nicht passfähig sind mit den Anforderungen an die Bildungsarbeit mit der Zielgruppe. Auch die rechtliche Situation möglicher Teilnehmenden (Status der Geflüchteten, Wohnortauflagen, Reisemöglichkeiten etc.) behindert die Bildungsanliegen. Der AdB selbst hat im vergangenen und in diesem Jahr Fortbildungen zur politischen Bildung mit geflüchteten Menschen angeboten und viel Erfahrung sammeln können. Unser Fazit ist eindeutig: Es gibt keinen Grund, in der politischen Bildung mit geflüchteten Menschen von den erreichten Qualitätsstandards abzuweichen. Zielgruppenorientierung, Stärkenorientierung, Empowerment, Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit sind selbstverständlich auch die Grundlagen für die politische Bildung mit geflüchteten Menschen. Dies machen wir ganz aktuell z.B. in unserem Projekt „Empowered by Democracy“ das wir gemeinsam mit drei anderen großen Trägern der politischen Bildung umsetzen. Durch diese Kooperation schaffen wir es in vielen Einrichtungen gute Bildungsarbeit für junge Geflüchtete anzubieten und mit den Teilnehmenden weiterzuentwickeln.

Politische Bildung wird oft in Zusammenhang mit der Partizipation Jugendlicher in/an der demokratischen Gesellschaft diskutiert. Wie ist dieses „Gespann“ zu begreifen – kann es das eine ohne das andere überhaupt geben?

Politische Bildung und Partizipation gehören untrennbar zusammen. Partizipation bedeutet zum einen, dass die Angebote der außerschulischen Bildung so offen gestaltet sind, dass die teilnehmenden Jugendlichen ihre Interessen, Anliegen und Bedürfnisse aktiv einbringen können und sie – in einem Abstimmungsprozess mit dem Pädagogen/der Pädagogin – Berücksichtigung finden. Zum anderen ist Partizipation thematischer Kern außerschulischer politischer Bildung. Es geht immer darum, Jugendliche zur aktiven Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft zu befähigen. Dazu gehört das Kennenlernen von formalen und strukturellen Bedingungen eines demokratischen Zusammenlebens, das Einüben von friedlichen Formen der Auseinandersetzung sowie die Reflexion von Gestaltungswünschen und die Ermutigung zu aktivem Handeln und zu realen Beteiligungsaktivitäten. Konstitutiv für die außerschulische politische Bildung ist also auch die Vermittlung und Diskussion von Werturteilen, ohne die handlungsbezogenes politisches Engagement nicht denkbar ist. 

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